Kathrin Kagelmann: „Wir haben es geschafft“

Vorstellung des Integrationskonzeptes der Fraktion DIE LINKE. im Kreistag Görlitz am 9. 9. 2016 in Görlitz

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Studie zu Ängsten der Deutschen 2016 ist raus. Die TOP-Ängste sind demnach Angst vor Terror, Extremismus, Massenzuwanderung und Kontrollverlust des Staates. Und auch interessant: Der prozentuale Aufwuchs dieser Ängste zwischen 2016 und 2016 liegt mit rund 20 % etwa so hoch, wie die Wahlergebnisse für die AfD.

Das wirklich beängstigende daran allerdings ist nicht der Terrorismus. Statistisch gesehen führt bei Tötungsverbrechen immer noch der Mord im familiären Umfeld, nicht durch terroristische Attentate. Aber gegen Angst ist eben kein Kraut gewachsen, das ist ein Grundgefühl. Da kannst du dir als Politikerin den Mund fusslig reden, wenn die Aufregungsmaschinerie täglich medial läuft, ängstigt sich der Mensch bis zur nächsten großen Aufregung.

Fazit: Mit Angst wurde selten gute Politik gemacht, man gewinnt allerdings Wahlen. Und das macht wiederum mir Angst.

„Wir schaffen das!“   Das ist wohl der „Unsatz“ des Jahres 2015, der je nach politischer Verortung mal spöttisch, mal drohend als größte politische Fehlleistung der deutschen Gegenwartspolitik beschrieben wird. Nüchtern betrachtet hat die Kanzlerin sogar recht behalten. Aber die Menschen ängstigen sich weiter. Dabei wurde die vermeintliche Rettung des Abendlandes erkauft durch den Ausbau der Festung Europa.

Das ist aus meiner Sicht kurzsichtig und engherzig und es ist schlicht eine Form der Realitätsverweigerung: Denn: Es wird weiter vertrieben, gehungert, ertrunken – sogar noch stärker. Nur die Routen variieren. Man stirbt jetzt wieder mehr vor Italien – nicht mehr vor Griechenland. Wieviel zählen eigentlich die Ängste dieser Verzweifelten? Berührt uns das als Deutsche?

Der Satz „Wir schaffen das.“ war für mich weder naiv noch besonders revolutionär (insoweit habe ich das Theater darum nie wirklich verstanden), sondern die einzig logische Antwort auf eine akute staatliche Herausforderungen: Was bitte schön, hätte sie sonst sagen sollen? Wir schaffen das nicht?

Was ich mir vielmehr gewünscht hätte, wäre das Eingeständnis, dass Europa und besonders Deutschland als das wirtschaftliche stärkste Land auf dem Kontinent seiner Verantwortung im Globalisierungsprozess jahrzehntelang nicht gerecht geworden ist. Globalisierung ist eben viel mehr als ungebremster Warenverkehr und Wirtschaftswachstum – natürlich auf Kosten der Armen und Ärmsten. Wir ernten was wir sähen!

Und es wird auch nicht gelernt aus diesen Fehlern: Die Welthungerhilfe beklagte erst gestern in der SZ, dass der Anstieg der deutschen Entwicklungshilfe im vergangenen Jahr eben nicht in die ärmsten Länder Afrikas geflossen ist, sondern in die Betreuung von Flüchtlingen in Deutschland. Da kann ich nur sagen: Nichts begriffen!

Klar braucht man für die Betreuung in Deutschland Geld! Aber wenn wir es aus Afrika abziehen, füllen wir die nächsten Flüchtlingsboote.

Dieser Staat und seine führenden Politiker sind nicht wirklich überfordert, aber vielfach unwillig, orientierungslos, ohne gemeinsamen moralischen Kompass – obwohl wir ja ständig unsere Leitkultur retten wollen. Und das verunsichert – zu recht.

Die Kreistagsfraktion hat nun einen kleinen bescheidenen Beitrag geleistet, etwas Orientierung in die kreisliche Organisation von Integration zu bringen. Und zumindest an dieser Stelle können wir selbstbewusst sagen: Wir haben es geschafft!

Das war ein Jahr harte ehrenamtliche Arbeit. Und ja, manche sagen – auch aus den eigenen Reihen – das war gar nicht unser Job als Kreisräte, weil wir ja nur Teil von Verwaltung sind.

Aber: Erstens hatte die Verwaltung im 2015 wirklich viel um Ohren, es gab ja in der Zeit, als die meisten Flüchtlinge in unserem Kreis kamen, noch gar kein Integrationsamt. Da bleibt keine Zeit für Visionen, da muss man an der Realität ackern.

Und zweitens: Ich bin seit über 20 Jahren Kreisrätin. Der Blick der Räte ist ein anderer als der von Verwaltungsangestellten. Und diesen Blick galt es aufzuschreiben, bevor eine Verwaltungsvorlage jede etwas weitergehende Sichtweise erschlägt.

Ich hoffe jetzt, dass das Diskussionsangebot auch von Kreistag und Verwaltung aufgegriffen wird.